Gohliser Wannenbad

Erfasst am 10.03.2023

Gebäudezustand
Guter Zustand
Kategorie
Gerettetes Denkmal
Objekt-Nr.
536
Ort

04155 Leipzig


Informationen

Beschreibung

Versteckt hinter einem viergeschossigen Mietshaus im Leipziger Norden befindet sich ein U-förmiger Industriebau mit typischer Ziegelfassade. Das heute als Gohliser Wannenbad bekannte Gebäude besteht aus einem zweigeschossigen Gebäudeflügel mit repräsentativer Fassadengestaltung. Daran schließen zwei eingeschossige Gebäudeflügel an. 1889 als Produktionsstätte der „sächsischen Bronzewarenfabrik Emil Venus & Co“ errichtet, war die Nutzungsgeschichte bis zum Leerstand ab 1997 wechselvoll. Die Bandbreite der Nutzung reichte von Kleinindustrie- und Handwerksbetrieben, über Wohn- und Lagerraum, bis hin zur Nutzung als öffentliches Wannenbad.

Baujahr
1889
Geschichte

Im Sommer 1889 war die Hallesche Straße (heute Georg-Schumann-Straße) nordwestlich von Gohlis eine ländlichen Chaussee, baumbestanden führte sie über weite Felder, nur am Horizont war die Infanteriekaserne zu sehen. Doch das sollte sich bald ändern, das Dorf wuchs rasant und überall wurde gebaut. So stellten am 12. Juni 1889 auch Herr Emil Venus und Herr Lieutnant a. D. Hahn einen Bauantrag: Die Errichtung eines Werkstattgebäudes in der damaligen Halleschen Straße 72 war geplant. Der Neubau sollte der Vergrößerung und Modernisierung ihrer bisher in der Schmiedestraße (heute ein Teil der Menckestraße) bestehenden Bronzegießerei dienen. Die eingeschossige, u-förmige Fabrik mit einem 21 m hohen Schornstein wurde bis zum November 1889 errichtet. Im Jahr 1890 folgte das repräsentative gründerzeitliche Mehrfamilienhaus vor der Fabrik direkt an der Straße, die Herren Fabrikbesitzer konnten hier standesgemäß wohnen, weitere Wohnungen wurden vermietet, in die Mansarde durfte der Vorarbeiter einziehen. Spezialität der Bronzewarenfabrik waren Tür- und Fenstergriffe, Geldschrank- und Möbelbeschläge, Klavierleuchter und Blitzableiterspitzen - Produkte für die boomende Bauwirtschaft ebenso wie für den zu dieser Zeit weltweit führenden Gohliser Industriezweig: die Musikautomaten-Produktion. Die Firma wuchs und florierte, und so wurde bereits im Jahr 1897 der Antrag gestellt, den Südflügel um ein weiteres Geschoß aufzustocken. Die repräsentative Südfassade wurde, mit der selben Sorgfalt wie acht Jahre zuvor und mit den gleichen Klinkersteinen aus Siegersdorf, erhöht, die Fabrik erhielt damit ihr heutiges Erscheinungsbild. Die Firma Emil Venus & Co produzierte hier insgesamt 26 Jahre, sie ist noch bis 1916 in Leipziger Adressbüchern vermerkt. In diesem Jahr wurden die Gebäude jedoch zwangsversteigert, die Broncewaarenfabrik war Geschichte und die Nutzer wechselten in den folgenden Jahren oft. Es wurden Futtermittel produziert oder Marmelade hergestellt und schließlich richtete Morris Lippmann 1919 eine Firma für Metallveredelung ein, die 13 Jahre in Betrieb bliebt.

In den dreißiger Jahren änderte sich die Nutzung erneut und es wurde umgebaut. 1933 entstand im Südflügel im ersten Stock eine Wohnung, im Nordflügel entstanden zwei Garagen. Der große Fabrikschornstein wurde nicht mehr benötigt und abgetragen. 1935 eröffnete Cläre Harders im hinteren Gebäudeteil ihr Gohliser Bad, das bis 1989 - über 54 Jahre - von den Anwohnern des Stadtteils besucht wurde. Es gab kein Schwimmbecken, sondern 14 separate Kabinen mit Badewannen, die die Gohliser ohne eigenes Badezimmer für die wöchentliche Körperreinigung nutzen. 1965 übernimmt Elisabeth Knoblich das Wannenbad, und im Lauf der Jahrzehnte änderte sich allmählich die Ausrichtung des Bades, es kamen nun vor allem Patienten zu medizinischen Bädern und physiotherapeutischen Behandlungen, denn gebadet wurde immer öfter im eigenen Bad zu Hause. So werden 1977 noch 7 Wannenbäder und 9 Massagekabinen genutzt und das Wannenbad hat 4 Angestellte. Frau Knoblich hat eine 3-Zimmer-Wohnung im 1. Stock des Vorderhauses, die auch als Büro genutzt wird. 1937 zieht die Handschuhmacher-Familie Seering in den Südflügel. In der Wohnung im oberen Stockwerk lebt er gemeinsam mit seiner Frau, Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind. Im Erdgeschoß stehen Stanzen und Nähmaschinen, hier werden aus Stoff-Restposten Arbeitshandschuhe, Planen und Zelte hergestellt. Neben dem Handschuhmacher ist ein weiterer Handwerker seit 1948 im Hofgebäude ansässig – der Tischler Willy Schulze. Das ist bekannt, weil ein Beschwerdebrief Hermann Seerings vorliegt, in dem er den Lärm der Kreissäge sowie den Gestank des Holzleimes beklagt. Der Handschuhmacher Hermann Seering übergibt 1962 die Leitung der Firma an seinen Schwiegersohn Gerhart Höhne, dessen Sohn Peter ab 1986 die Geschäfte leitet. Nach über drei Generationen Handschuhmacherei endet die Geschichte des Betriebes 1992. Die Familie lebt noch bis 1997 in der Wohnung, danach stehen die Gebäude über 13 Jahre lang leer und verfallen – einer von vielen lost places in Leipzig.

Im September 2010 entdecken die jetzigen Eigentümer das Gebäude und beginnen im darauffolgenden Frühjahr mit der schrittweisen Restaurierung. Ziel ist dabei, möglichst viel Substanz zu erhalten, alte Baumaterialien wieder zu verwerten und vor allem natürliche und ökologische Baustoffe zu verwenden, notwendig ist dabei, soviel wie möglich mit den eigenen Händen selbst zu tun. Bald stellt sich heraus, daß unter der in den 1990er Jahren erneuerten Dachhaut viele Dachbalken und Balkenköpfe so angegriffen sind, dass sie erneuert werden müssen. Erst danach kann es Innen richtig losgehen. Im Südflügel werden Räume zusammengelegt, Wände gedämmt und mit Lehmputz versehen, Türen, Dielen und Treppen abgeschliffen und gestrichen oder geölt. Die gründerzeitlichen Kastenfenster werden aufgearbeitet. Der Fußboden im Treppenhaus wird mit Ziegelsteinen aus einer abgerissenen Zwischenwand verlegt. Das Eichenparkett im Wohnzimmer stammt aus einer Leutzscher Villa, es wurde bei deren Sanierung entsorgt. Nach 16 Jahren Leerstand kann im Oktober 2013 die Wohnung im Obergeschoß wieder bezogen werden. Die weitere Sanierung wird Schritt für Schritt erfolgen. Aber schon jetzt öffnet sich regelmäßig das Tor für Besucher: Zum Sommertheater im Westflügel, zur Nacht der Kunst, zum Weihnachtsmarkt oder zu Lesungen.

Nutzung
Derzeitige Nutzung

Keine Daten vorhanden

Ursrpüngliche Nutzung
  • Badehaus
  • Entstehungszeit: Industrie
  • Erhaltung
  • Fabrik
  • Gewerbe
  • Haus
  • Nicht-Kommerziell
  • Ökonomie
Fläche
Grundstücksfläche

Keine Daten vorhanden

Nutzfläche

Keine Daten vorhanden

Sonstiges

Keine Daten vorhanden


Sanierungskonzepte

Für dieses Denkmal sind noch keine Sanierungskonzepte vorhanden.


Bilder

Außenansicht

Mathias Baudenbacher

Erneuerung von Dachbalken im Nordflügel

Mathias Baudenbacher

Wiederherstellung eines Fenstersturzes im Nordflügel

Mathias Baudenbacher

Hinterhof vor der Sanierung

Mathias Baudenbacher

Hof nach der Sanierung

Mathias Baudenbacher

Aufgearbeitetes Fenster

Mathias Baudenbacher

Kinderkonzert im Rahmen des Gewandhausprojektes "Impuls"

Mathias Baudenbacher

Nacht der Kunst 2012

Mathias Baudenbacher

Toreingang

Mathias Baudenbacher


Karte

04155 Leipzig


Kontakt

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